Die Vokale ъ und ь im Codex Suprasliensis
Der Aufsatz „Die Vokale Ъ und Ь im Codex Suprasliensis“ von August Leskien untersucht die Verwendung und Funktion der altslawischen Vokale ъ (jer) und ь (kleines jer) im Codex Suprasliensis, einer bedeutenden slawischen Handschrift aus dem 10. Jahrhundert. Leskien analysiert die unterschiedlichen orthographischen Konventionen und die Lautentwicklung dieser Vokale im altslawischen Kontext und liefert eine detaillierte sprachwissenschaftliche Untersuchung, die sowohl historische als auch dialektologische Aspekte berücksichtigt. Leskien beginnt mit einer Übersicht über frühere Studien zu den Vokalen ъ und ь, insbesondere in Bezug auf die slawischen Denkmäler. Er verweist auf seine eigene frühere Arbeit sowie auf die von Miklosich und Severjanov, die verschiedene Aspekte der altslawischen Orthographie und Phonologie beleuchtet haben. Mit der Veröffentlichung einer fotografischen Reproduktion des Codex und der Ausgabe von Severjanov wird eine genauere Analyse der Vokalzeichen ermöglicht. Im Kern des Aufsatzes analysiert Leskien die spezifische Verwendung von ъ und ь im Codex Suprasliensis. Er beschreibt die diakritischen Zeichen, die in der Handschrift verwendet werden, und deren Bedeutung für die Palatalität der Laute. Leskien hebt hervor, dass die Zeichen nicht nur die Aussprache beeinflussen, sondern auch die morphologische Struktur der Wörter reflektieren. Eine seiner zentralen Beobachtungen ist die systematische Verwendung des Apostroph-Zeichens über dem Buchstaben ь, was auf eine grammatische Funktion hinweist, die über eine rein graphische Unterscheidung hinausgeht. Ein bedeutender Teil der Analyse widmet sich den phonologischen Prozessen, durch die die Vokale ъ und ь in verschiedenen Positionen ausgefallen oder zu anderen Vokalen transformiert wurden. Leskien stellt fest, dass ь häufig in der Aussprache nicht mehr als solcher wahrgenommen wurde, sondern entweder verschwand oder zu e wurde. Gleichzeitig zeigt er, dass ъ in bestimmten Kontexten erhalten blieb oder durch o ersetzt wurde, was auf dialektale Unterschiede und historische Entwicklungen hinweist. Leskien schließt, dass die Verwendung der Vokale ъ und ь im Codex Suprasliensis ein komplexes System von grammatischen und phonologischen Regeln widerspiegelt, die eng mit der Geschichte und Dialektologie der altslawischen Sprache verbunden sind. Seine Untersuchung trägt wesentlich zum Verständnis der altslawischen Sprachentwicklung bei und unterstreicht die Bedeutung des Codex Suprasliensis als Quelle für die Erforschung der slawischen Sprachgeschichte.
The essay ‘The vowels Ъ and Ь in the Codex Suprasliensis’ by August Leskien analyses the use and function of the Old Slavic vowels ъ (jer) and ь (small jer) in the Codex Suprasliensis, an important Slavic manuscript from the 10th century. Leskien analyses the different orthographic conventions and the sound development of these vowels in the Old Slavic context and provides a detailed linguistic study that takes both historical and dialectological aspects into account. Leskien begins with an overview of previous studies on the vowels ъ and ь, particularly in relation to the Slavic monuments. He refers to his own earlier work as well as that of Miklosich and Severjanov, who have shed light on various aspects of Old Slavic orthography and phonology. With the publication of a photographic reproduction of the codex and Severjanov's edition, a more detailed analysis of the vowel signs is made possible. In the core of the essay, Leskien analyses the specific use of ъ and ь in the Codex Suprasliensis. He describes the diacritical signs used in the manuscript and their significance for the palatalisation of the sounds. Leskien emphasises that the signs not only influence pronunciation, but also reflect the morphological structure of the words. One of his central observations is the systematic use of the apostrophe sign above the letter ь, which indicates a grammatical function that goes beyond a purely graphic distinction. A significant part of the analysis is devoted to the phonological processes by which the vowels ъ and ь were dropped in different positions or transformed into other vowels. Leskien notes that ь was often no longer perceived as such in pronunciation, but either disappeared or became e. At the same time, he shows that ъ remained in certain contexts or was replaced by o, which points to dialectal differences and historical developments. Leskien concludes that the use of the vowels ъ and ь in the Codex Suprasliensis reflects a complex system of grammatical and phonological rules that are closely linked to the history and dialectology of the Old Slavic language. His study contributes significantly to the understanding of Old Slavic language development and emphasises the importance of the Codex Suprasliensis as a source for the study of Slavic language history.