Der polnische Roman im 20. Jahrhundert als Zeugnis einer Kultursituation
Der Aufsatz untersucht den polnischen Roman anhand von Werken von Stefan Żeromski und Juliusz Kaden-Bandrowski. Die Untersuchung fokussiert sich darauf, wie diese Romane als Ausdruck und Zeugnis spezifischer kultureller und gesellschaftlicher Situationen dienen, besonders im Hinblick auf die polnische Intelligenz und deren Rolle in der Gesellschaft. Olschowsky argumentiert, dass literarische Werke sowohl durch bewusste als auch unbewusste Verweise auf gesellschaftliche Realitäten als historische Quellen genutzt werden können. Es wird hervorgehoben, dass literarische Texte, auch wenn sie keine direkten Darstellungen der Realität bieten, dennoch Einblicke in die Denkmuster und Weltanschauungen ihrer Zeit und ihrer Autoren ermöglichen. Der Ansatz, eine „konventionsbewusste historische Lektüreweise“ zu verwenden, soll helfen, die komplexen Beziehungen zwischen Literatur und der zeitgenössischen Kultur zu entschlüsseln. Der Aufsatz beleuchtet drei Hauptthemen in den analysierten Romanen: die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart, die Einstellung zur Arbeit als wertbildender Faktor der Persönlichkeit und die Stellung zur Politik und zum eigenen Staat. Żeromskis Roman „Vorfrühling“ zeigt eine starke Bindung an die nationale Vergangenheit, wobei die Geschichte eine zentrale Rolle im Bewusstsein der Figuren spielt und die Gegenwart diktiert. Die Autorität der Tradition wird betont und die Intelligenz wird als Verteidiger und Nutznießer dieser Tradition dargestellt. Die soziale und berufliche Stellung der Figuren reflektiert eine spezifische Mentalität der polnischen Intelligenz, die stark von einem adligen Erbe geprägt ist und eine Abneigung gegen das Bürgertum sowie gegen spezialisierte berufliche Tätigkeiten zeigt. Kaden-Bandrowski hingegen dekonstruiert diesen Mythos und zeigt eine pragmatischere Sichtweise auf die polnische Geschichte und Gegenwart. Seine Romane „General Barcz“ und „Die schwarzen Schwingen“ reflektieren die Realität der Gegenwart ohne idealisierende Rückgriffe auf die Vergangenheit. Die Figuren in „General Barcz“ und „Die schwarzen Schwingen“ sind weniger von historischen Mythen geprägt und konzentrieren sich mehr auf aktuelle gesellschaftliche Konflikte und praktische Lebensrealitäten. Kaden-Bandrowski stellt die Entmachtung der Vergangenheit dar und zeigt die städtisch-industrielle Zivilisation der Gegenwart, die durch den Interessengegensatz zwischen Kapital und Proletariat geprägt ist. Insgesamt bietet der Aufsatz eine detaillierte Analyse der kulturellen und sozialen Funktionen des polnischen Romans im 20. Jahrhundert und zeigt, wie Literatur sowohl die historischen als auch die zeitgenössischen Realitäten reflektiert und kommentiert. Olschowsky hebt hervor, dass die Romane als Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen in Polen dienen und die unterschiedlichen Einstellungen der Autoren zu Arbeit, Politik und Gesellschaft verdeutlichen.
This article examines the Polish novel on the basis of works by Stefan Żeromski and Juliusz Kaden-Bandrowski. The study focuses on how these novels serve as an expression and testimony of specific cultural and social situations, especially with regard to the Polish intelligentsia and their role in society. Olschowsky argues that literary works can be used as historical sources through both conscious and unconscious references to social realities. It is emphasised that literary texts, even if they do not offer direct representations of reality, nevertheless provide insights into the thought patterns and worldviews of their time and their authors. The approach of using a ‘convention-conscious historical reading’ should help to decipher the complex relationships between literature and contemporary culture. The essay highlights three main themes in the novels analysed: the significance of history for the present, the attitude towards work as a value-forming factor of personality and the position towards politics and one's own state. Żeromski's novel ‘Early Spring’ shows a strong connection to the national past, with history playing a central role in the characters' consciousness and dictating the present. The authority of tradition is emphasised and the intelligentsia are portrayed as defenders and beneficiaries of this tradition. The social and professional position of the characters reflects a specific mentality of the Polish intelligentsia, which is strongly influenced by an aristocratic heritage and shows an aversion to the bourgeoisie and specialised professional activities. Kaden-Bandrowski, on the other hand, deconstructs this myth and presents a more pragmatic view of Polish history and the present. His novels ‘General Barcz’ and ‘The Black Wings’ reflect the reality of the present without idealising recourse to the past. The characters in ‘General Barcz’ and ‘The Black Wings’ are less characterised by historical myths and focus more on current social conflicts and the practical realities of life. Kaden-Bandrowski depicts the disempowerment of the past and shows the urban-industrial civilisation of the present, which is characterised by the clash of interests between capital and the proletariat. Overall, the essay offers a detailed analysis of the cultural and social functions of the Polish novel in the 20th century and shows how literature reflects and comments on both historical and contemporary realities. Olschowsky emphasises that the novels serve as a mirror of the social changes in Poland and illustrate the authors' different attitudes towards work, politics and society.
Preview
Cite
Access Statistic
Rights
Use and reproduction:
This publication is with permission of the rights owner freely accessible due to an Alliance licence and a national licence (funded by the DFG, German Research Foundation) respectively.